16-kanalige, begehbare RaumklangSkulptur
1992 Badischer Kunstverein Karlsruhe
LOST ist einer der drei Klang-Licht-Räume aus TOPOPHONICZONES:
Der Klangkörper des Raumes LOST ist vor allem durch den Lautsprecher-Winkel (Skizze / Ebene A) geprägt. Diese auf dem Boden verlängerte Säule stellt die wichtigste Installationskomponente des Lichthofes dar. Über diese Bahn stürzen Klangmassen zur Erde und ziehen sich in bestimmten Phasen auch wieder hinauf. Beim Betreten des Raumes ist der Besucher zeitweilig von einem Klangband umgeben, das sich über einen Lautsprecher-Halbkreis (Skizze / Ebene B) bewegt und die fallenden Klang-Gesten kontrapunktiert. Die Ebene C überträgt die Aura-Klangfarben: die dreidimensional bewegten Klänge der Ebenen A und B.
Prof. Dieter Daniels: Schritte im Dunkel – unterwegs zu einer interdisziplinären Kunst
Wie stellt man einen Klang aus ? Die Frage enthält bereits den Widerspruch zwischen verschiedenen Kunstformen. Eine Ausstellung wird als räumliche Folge von einem Besucher erlebt – dies ist die Konvention der Kunstausstellung. Ein Klang wird als zeitliche Abfolge von statischen Zuhörern erlebt – dies ist die Konvention der Musikaufführung. Für den Besucher einer Ausstellung entwicklet sich ein subjektives, von ihm selbst steuerbares Zeiterleben in der Bewegung durch den Raum – für den Zuhörer eines Konzerts entwickelt sich eine objektive Struktur von Zeit. Jeder Versuch, diesen Konventionen zu entkommen, muss sich mit der Hartnäckigkeit dieser festgeschrieben Erlebnisweisen von Kultur auseinandersetzen.
Wie stellt man einen Klang aus ? Die Frage enthält bereits den Widerspruch zwischen verschiedenen Kunstformen. Eine Ausstellung wird als räumliche Folge von einem Besucher erlebt – dies ist die Konvention der Kunstausstellung. Ein Klang wird als zeitliche Abfolge von statischen Zuhörern erlebt – dies ist die Konvention der Musikaufführung. Für den Besucher einer Ausstellung entwicklet sich ein subjektives, von ihm selbst steuerbares Zeiterleben in der Bewegung durch den Raum – für den Zuhörer eines Konzerts entwickelt sich eine objektive Struktur von Zeit. Jeder Versuch, diesen Konventionen zu entkommen, muss sich mit der Hartnäckigkeit dieser festgeschrieben Erlebnisweisen von Kultur auseinandersetzen.
Das Projekt „TopoPhonicZones“ von Sabine Schäfer setzt genau an diesem Punkt an und zeigt in vier aufeinanderfolgenden Räumen vier Modi die akustischen, optischen und körperlichen Weisen der Wahrnehmung zu verknüpfen. Es beginnt mit einem Klangtunnel – eine lineare Strecke, die der Besucher im Raum zurücklegt, lässt durch die subjektive Bewegung eine Passage von Klängen entstehen. Im folgenden, grossen Saal wird es komplexer: der „sound warp“ kreist über dem Besucher – andere Einzelklänge sind nur im Umhergehen herauslösbar und erfordern eine nahes Herangehen an den Lautsprecher, so als sei der Klang ein Objekt, das man näher betrachten will. Der Zuhörer muss immer wieder zum Lauscher werden und schwankt in seiner Aufmerksamkeit zwischen dem Ganzen und den Details. Die „Früchte des Kolumbus“ von Hens Breet spielen mit derselben räumlichen Ambivalenz – aus der Ferne, in der Projektion, ein magisches Flimmern – aus der Nähe nichts ausser Kartoffeln. Im nächsten Raum fordert die Kompostion „lines between“ den Zuhörer mehr als bisher zum statischen Verweilen auf, die Gesamtlänge des Stücks ist 2 Stunden. Es wird ihm sogar ein Stuhl angeboten, von dem aus er dem um ihn schwingenden Klang folgen kann. Ebenso wie die Komposition sich hier konventionellen, linearen Formen der Musik nähert, bleiben auch die Wandrefliefs von Werner Cee im Rahmen der klassischen bildenden Kunst, so dass es zu einem Kontrast von statischem Bild und mobilem Klang kommt. Ganz anders im letzten Raum: „Lost“ verschmilzt intensive optische und akustische Impulse zu einem kurzen, aber heftigen Eindruck. Der Besucher sitzt nicht und wandelt nicht umher – er steht auf der in den Raum ragenden Bühne – „wie vom Donner gerührt“ – so als würde er von einem Aussichtsbalkon auf ein Naturschauspiel blicken. Jeder der vier Räume von „TopoPhonicZones“ ist das Modell für eine mögliche Form interdisziplinärer Kunst. Jeder Raum trägt eine andere Stimmung und setzt das Pubklikum in eine andere Position gegenüber dem Kunstwerk. Viele Metaphern drängen sich auf: die vier Jahreszeiten, die vier Elemente, die vier Himmelsrichtungen. Keine trifft genau zu – aber dennoch sind alle vier Erlebnismodi Abstraktionen von naturhaften Prozessen und spielen mit den Übergängen von heiss und kalt, fest und flüssig, nah und fern, ohne aber zu simplen Allegorien zu werden. Die Installation von „TopoPhonicZones“ im Badischen Kunstverein Karlsruhe nimmt genau auf die vorhandene Architektur Bezug – jeder Raum ist eine subtile Umsetzung der jeweils ganz anderen architektonischen Struktur. Hier liegt die Stärke dieses Projekts – hierin zeigt sich aber auch, welchen Aufwand eine interdisziplinäre Arbeit erfordert, bei der jahrelange Vorarbeiten zu einem Ereignis von nur fünf Tagen nötig sind. Ein Projekt dieser Art ist nicht ohne weiteres von Museum zu Museum oder von Konzertsaal zu Konzertsaal zu transportiern – es hat eine Qualität, die im Kulturbetrieb immer seltener geworden ist: die Einzigartigkeit eines Ereignisses für einen bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit. Dieter Daniels: geb.1957 in Bonn. 1984 Mitbegründer der Videonale Bonn, seit 1991 Aufbau der Videosammlung am ZKM Karlsruhe, seit 1993 Professor für Kunstgeschichte und Medientheorie an der Hochschule für Graphik und Buchkunst Leipzig.
Prof. Dr. Helga de la Motte-Haber: Kontrapunktik im Raum
Zu den wichtigsten Aufgaben des Ohres gehört die Lokalisation der Schallquelle. Sie erfolgt mit solcher Präzision, daß man im Stimmengewirr einer Party eine verständliche Rede wahrnehmen kann, weil die genaue Bestimmung des Herkunftsortes der Sprachlaute erlaubt, sie zu einem sinnvollen Ganzen zu fügen. Im Bereich der Musik war die Fähigkeit des Ohres zur Raumwahrnehmung zu verschiedenen Zeiten von verschiedener Bedeutung. Sie hatte eine wichtige Funktion in den Anfängen der mehrstimmigen Instrumentalmusik. Beim mehrchörigen Musizieren verdeutlicht das Zusammenwirken von verschiedenen Positionen aus die musikalische Form. Der Raum wurde jedoch aus dem Denken der Komponisten mehr und mehr verbannt. Die erhoben auf den Konzertpodien, vis à vis dem Publikum, sitzenden Musiker sollten nur Herzensräume jenseits der Realität öffnen. Nur manchmal erinnerten noch im 19.Jahrhundert Komponisten mit räumlich distanziert wirkenden Klängen, die von weither – lointain – zu kommen schienen, daß zu hören mit einem Bewußtsein der Welt verbunden sein kann. Das Material der Musik war auf die Höhe, Dauer und Lautstärke von Tönen und Klängen eingeengt. Ihre Herkunft sollte unbestimmt wirken.
Zu den wichtigsten Aufgaben des Ohres gehört die Lokalisation der Schallquelle. Sie erfolgt mit solcher Präzision, daß man im Stimmengewirr einer Party eine verständliche Rede wahrnehmen kann, weil die genaue Bestimmung des Herkunftsortes der Sprachlaute erlaubt, sie zu einem sinnvollen Ganzen zu fügen. Im Bereich der Musik war die Fähigkeit des Ohres zur Raumwahrnehmung zu verschiedenen Zeiten von verschiedener Bedeutung. Sie hatte eine wichtige Funktion in den Anfängen der mehrstimmigen Instrumentalmusik. Beim mehrchörigen Musizieren verdeutlicht das Zusammenwirken von verschiedenen Positionen aus die musikalische Form. Der Raum wurde jedoch aus dem Denken der Komponisten mehr und mehr verbannt. Die erhoben auf den Konzertpodien, vis à vis dem Publikum, sitzenden Musiker sollten nur Herzensräume jenseits der Realität öffnen. Nur manchmal erinnerten noch im 19.Jahrhundert Komponisten mit räumlich distanziert wirkenden Klängen, die von weither – lointain – zu kommen schienen, daß zu hören mit einem Bewußtsein der Welt verbunden sein kann. Das Material der Musik war auf die Höhe, Dauer und Lautstärke von Tönen und Klängen eingeengt. Ihre Herkunft sollte unbestimmt wirken.
Raum durch Klang zu komponieren, ist zu einem neuen Thema im 20. Jahrhundert geworden, wobei am Ende dieses Jahrhunderts auch dessen innovatives ästhetisches Potential deutlich wird. Denn seit den Anfängen der Neuen Musik haben sich Komponisten – darunter Schönberg, Hindemith, Varèse – mit der Neubestimmung eines musikalischen Raumes befaßt. Die Theoretiker fingen aber erst an, den Künstlern in dieses musikalische Neuland zu folgen, als in den 1950er Jahren unübersehbar wurde, daß es sich um eine ästhetisch zentrale Kategorie handelt. Die Beschäftigung mit dem Thema „Raum-Musik“ (Karlheinz Stockhausen) wurde nach dem Zweiten Weltkrieg durch zwei voneinander abhängige Phänomene intensiviert. Einmal hatte die technische Entwicklung neue Formen der Klangproduktion ermöglicht, die zum Nachdenken über die Herkunft des Schalls (konkret über die Position der Lautsprecher) anregte. Zum zweiten hatte jedoch auch eine innermusikalische Entwicklung stattgefunden, die dazu veranlaßte, musikalische Strukturen in den äußeren Raum aufzuklappen. Zusätzlich zu den genannten Dimensionen des Klangs wurde seitdem Raum von den Komponisten in die künstlerische Reflexion einbezogen. Oft war damit der Auszug aus dem herkömmlichen Konzertsaal verbunden, der sich als wenig flexibel erwies für die Auflösung der starren Verhältnisse zwischen Zuhörer und klingendem Werk. Vielfältige Formen musikalischer Raumkompositionen sind im letzten halben Jahrhundert entstanden, bis dahin, daß mit Klanginstallationen regelrecht neue Kunstgattungen sich ausgebildet haben. Diese Vielfalt begründet sich in der grundsätzlichen Mehrdimensionalität des Raumes und in dem komplexen Verhältnis, das sich zwischen dem Hörraum, in dem sich Töne in die Höhe und in die Tiefe bewegen, und dem Umgebungsraum ausbildet, in dem sich der Klang ausbreitet. Zudem sind akustische Erscheinungen der Alltagswelt (Sprache, Geräusche) musikalisch integrierbar geworden. Sabine Schäfers Klangräume nehmen eine vermittelnde Stellung ein zwischen musikalischen Raumkompositionen und Installationen. Sie verrätseln den Nahraum und sind zugleich nicht nur als Modifikationen eines Umgebungsraums gedacht. Dieser dient vielmehr dazu, dem Klanggeschehen eine dreidimensionale Realität zu verleihen, wobei nicht nur durch die Positionierung der Lautsprecher eine viereckige Musik entsteht, sondern auch Bewegungseindrücke durch deren sukzessive Arbeitsweise erzeugt werden. Klänge stehen oder wandern im Raum und entfalten dabei einen Objektcharakter, den sie normalerweise nur im Hörraum besitzen. Sie sind wie Stimmen eines polyphonen Satzes im äußeren Raum übereinandergeschichtet. Ihre Bewegungen können kontrapunktisch konzipiert sein, so wenn über ruhenden Klängen Haltepunkte gesetzt sind und außerdem fließende Linien in Schleifen darüber verlaufen. Im Umhergehen kann sich der Besucher bei einer solchen Installation einen „Floridus“ schaffen durch seine eigene Bewegung. Er kann auch dem Fluß der Klänge folgen, oder im Innehalten sich mit einem Ort identifizieren. Daß die Materialien der einzelnen Ebenen zuweilen verschieden sind, ermöglicht ihm, für Momente Textfragmente, die wie „minimal music“ verarbeitet sind, auf ihren semantischen Sinn zu befragen. Irgendwo taucht die Stimme von Woody Allen auf mit dem programmatischen Satz: „Es fällt mir nicht leicht, zwischen Phantasie und Wirklichkeit zu unterscheiden“. Ist die neue akustische Welt durch begleitendes Licht unvorhersehbar geworden, so kann der Eindruck entstehen, man sei in einen Film eingetreten, bei dem jedoch die Musik die Hauptrolle spielt.
Die TopoPhonicZones (1992) verbinden drei Räume und vermitteln wie die einzelnen Sätze eines Orchesterwerks eine je unterschiedliche Struktur. Vom polyphonen Geschehen kann man in einen rhythmisch geprägten Raum wechseln, dessen herabstürzende Klangkörper sich die Stadien ihrer Bewegung in ihrer massiven Gestalt angeeignet haben. Doch das fließende Klangband, nun nur noch angedeutet, umgibt auch hier zuweilen den Besucher, schafft ebenso einen Zusammenhang wie die grundierende Schicht in der Erinnerung dessen, der weitergegangen ist. Ein dritter Raum löst den Kontrapunkt in zwei gegenläufige Farbflächen auf, deren obertonhaltiges Gewebe mit irisierenden Schwebungen angereichert ist. Sie wirken weit entfernt von den geräuschhaltigen beiden anderen Räumen. Melodien, die sich sehr langsam verschieben, raunen in diesen farbigen Mixturen. Für den der seine Aufmerksamkeit darauf richtet, scheint nichts mehr festzustehen. Im alltäglichen Leben versichert uns das Ohr über die Ortung des Schalls den eigenen Standort, weil es erlaubt, Distanzen abzuschätzen. In den melodisch gewebten, fein nuancierten Farbfeldern meint man jedoch, den akustischen Schwingungen in ein Inneres folgen zu können, das die dreidimensionale Struktur als Umhüllung voraussetzt, obwohl es nicht mit ihr identisch ist. Die topologische Neubestimmung des Raumes in einem audio-visuellen Ereignis erzwingt eine Neuorientierung des Hörens und Sehens. Sie basiert auf einer ungewöhnlich komplizierten Computertechnologie, die Denkbares wahrnehmbar macht und auf die Veränderbarkeit der Welt hinweist. „Aber das geht Dich doch gar nichts an.“ Oder doch? „Das Universum expandiert.“ In diesen Textfragmenten aus den TopoPhonicZones deutet sich an, daß es sich um mehr handelt, als um einen interessanten Nachmittag, den man in einem Kunsthaus verbringen kann. Dr. Helga de la Motte-Haber: geb. 1938 in Ludwigshafen. Studium der Psychologie und Musikwissenschaft in Hamburg. 1971 Habilitation für das Lehrgebiet Systematische Musikwissenschaft. 1978 Berufung auf eine Professur an der TU Berlin. Zahlreiche Publikationen auf dem Gebiet der Musikpsychologie und der Musikwissenschaft.