SonicRooms, 1998

<sabine schäfer // joachim krebs>

Begehbarer Raumklang-Körper

Doppelwandiges Klangzelt
Material:Stoffbespannungen, Gerüst aus Leichtmetall, Holz und Stahl
L 550 x B 550 x H 240 cm mit integrierter 8-Kanal-Tontechnik

Entwicklung des RaumklangKörpers „Klangzelt“ 1997

Kompositionen, die für das „Klangzelt“ produziert wurden:
SonicRooms No.1 (1997), achtkanalige Raumklangkomposition von Sabine Schäfer
SonicRooms No.2 (1998), achtkanalige Raumklangkomposition von Joachim Krebs

Der begehbare RaumklangKörper

Die Projektreihe „SonicRooms“ ist unser erster gemeinsam realisierte Werkzyklus, in dem wir nicht, wie in früheren Arbeiten, den Aufführungsraum vor Ort akustisch „inszeniert“ haben, um, unter spezifischer Berücksichtigung örtlicher Gegebenheiten, den Raum selbst zum Klingen zu bringen.

Der Präsentationsort des RaumklangKörpers selbst wird also nicht in seinen architektonischen Dimensionen akustisch durchschritten – oder besser gesagt „durchschallt“ – um quasi den Raum an sich „hörbar“ zu machen, sondern im Gegenteil handelt es sich hier, vor allem wenn man sich im Innern des RaumklangKörpers befindet, um die weitestgehende Eliminierung der realen – visuellen wie akustischen – Umgebung des Ortes, an dem der begehbare RaumklangKörper – quasi ein Raum im Raum – aufgestellt ist.

Das Innere des RaumklangKörpers „KlangZelt“ z.B., das von seiner Umgebung durch doppelte Stoffbespannung ebenso leicht wie effektiv künstlich separiert ist, klammert den visuellen Aspekt der künstlerischen Gestaltung von Raum und Zeit so weit wie möglich aus, um die auditive Rezeption der artifiziell kreierten, virtuellen KlangRäume zu intensivieren.

Da auch der für die Orientierung und Lokalisierung so wichtige Sichtkontakt zur Schallquelle Lautsprecher durch leichte, blickdichte aber schalldurchläßige Stoffwände verhindert wird, ist es möglich, irreal- imaginäre „ErlebnisKlangRäume“ zu realisieren, in denen wiederum real bewegte Klänge – nur mit dem Ohr wahrgenommen – als amorphes Kontinuum von flüchtigen und ungreifbaren Zuständen und akustischen Atmosphären erlebt werden können.

Paradoxerweise werden künstliche Räumlichkeiten von Klang an sich, durch reale Bewegung desselbigen noch gesteigert. Man muß also, um das „KlangZelt“ adäquat rezipieren zu können, „live“ vor Ort sein, um u.a. den Unterschied zwischen künstlich produzierten Räumlichkeiten im Stereobild und der Künstlichkeit der psychischen, „inneren“ Raumwahrnehmung, die durch real von Lautsprecher zu Lautsprecher eine räumliche Distanz zurücklegende Klänge hervorrufen, miterleben zu können.

In wiederum künstlich, in einem realen Raum installierten „Hörinseln“, die – dem Hören mit Köpfhörern ähnlich – den realen Hörraum vor Ort durch allseitige Stoffbespannung und Teppichboden akustisch weitestgehend ausschließen, um die artifiziell produzierten Räumlichkeiten der Raumklangkompositionen selbst authentischer wahrnehmbar zu machen, wird es also möglich sein, neuartige Hörerfahrungen zu erleben, die u.a. zu Irritationen des „normalen“ Raum- und Zeitempfindens führen können.

Im besten Falle evoziert das Klangkunstwerk eine – zwischen imaginärem, psychischen Innenraum und „realem“, physikalischen Außenraum – frei fließende RaumZeiterfahrung.

Verräumlichung der Zeit – Verzeitlichung des Raums

Die modernen Wahrnehmungslehren fußen alle mehr oder weniger auf derTatsache, daß die Zeit- und Raumwahrnehmung des Menschen sich gegenseitig bedingen. Eine Distanz, die der Mensch – oder auch ein Klang – im Raum zurücklegt, wird vor allem als zeitliches Phänomen begriffen, anhand dessen der Mensch, durch Messen und Vergleichen, seine subjektive RaumZeitvorstellung entwickeln kann. Bewegung im Raum wird somit Zeit. Zeitstrecken werden zu räumlichen Distanzen. Zeitempfinden realisiert sich durch Raumempfinden und umgekehrt. Raum wird durch das Erleben der im Raum real bewegten Klangereignisse zur Erfahrung von Zeit. Zeit wird dadurch zu einem offenen, imaginären Werdensprozeß von gedachtem Raum. Entgrenzte, vom linear gerichteten Zeitfluß befreite, offene Räume dienen als Repräsentationsflächen für sich ständig im Wandel befindliche Werdensprozesse von Übergängen.

Zwischen ZeitRäumen und RaumZeiten gibt es mannigfaltige Arten von Zwischenzonen mit ihren ZwischenRäumen und ZwischenZeiten.

Dies alles führt zur Auflösung des realen Aufführungsraums, in der die Zeit selbst eine linear-dramaturgisch, final gerichtete Vorstellung (von Raum?) inszeniert.

Anstelle dessen setzt ein zyklisch, nicht-lineares Zeitbewußtsein das Bedürfnis nach „Eintauchen“ in den psychischen Innenraum frei, um durch konzentrierte Wahrnehmung von vordergründig ereignislosen, auf elementar-harmonikal einfachen Klangmaterialien und -transformationen beruhenden Klangereignissen, den physikalischen Außenraum mitsamt seiner Effektivzeit und inhaltlich besetzten Gedankenräumen auszublenden, damit der Blick, oder besser das Hören, frei werden, um Gegenwart als Möglichkeit von Übergängen – von Augenblick zu Augenblick – frei fließender Zustände zu erfahren.

Einzelne, im Raum verteilte Klangpunkte/Schallquellen werden durch Bewegung zu quasi organisch wuchernden Klanglinien, die – ihrerseits wieder zu einer artifiziellen RaumZeitMatrix verbunden – in der „NichtZeit“ freischwebende RaumZeitNetze akustisch imaginieren. Raum und Zeit werden dabei selbst zu interagierenden Wahrnehmungsqualitäten, die permanent zwischen „realem“ und „irrealem“ RaumZeitEmpfinden fluktuieren.

Künstliche Klanglandschaften
zwischen purer Natürlichkeit und reiner Abstraktion

Ausschließlich Original-Klangelemente der drei Grundkategorien Natur – Tier – Mensch bilden das Basis- und Ausgangsmaterial für vielfältige künstlerische Transformationsprozesse. Durch Anwendung neuester computergestützer Digitaltechnologie ist es möglich, die molekulare Binnenstruktur von Geräuschen und Klängen hörbar und damit – in einem noch vor knapp ca. 15 Jahren kaum vorstellbaren Ausmaß – für den Klangkünstler verfügbar zu machen.

In quasi wissenschaftlicher Weise und mittels sog. digitaler Klangprozessoren (Sampler), werden aus den sorgsam untersuchten, quasi akustisch sezierten, amorphen, heterogenen Original-Klangmaterialien einzelne GeräuschKlangTonPartikel generiert. Die Klangprozessoren dienen dabei als Komplex von Schnittstellen, die in das organische KlangGefüge eindringen, um dessen Variationen aufzuzeichnen, zu molekularisieren und dann zu transformieren.

Durch kontinuierlich variierte Interaktion der einzelnen Klangkomponenten untereinander, entstehen, in der Konsistenz und im Dichtegrad ständig sich verändernde, schillernde KlangGefüge.

Im Innern dieser multilinearen KlangGefüge gedeihen durch artifiziell erzeugte, eigendynamische Selbstintensivierungsschleifen und deren, permanentem Wechsel unterworfenen Geschwindigkeits- und Bewegungsverhältnisse, sog. akustisch „fluoreszierende“ KlangMilieus. Diese wiederum funktionieren als oszillierendes, symbiotisches Amalgam zwischen Realität und virtueller Realität, um die Gegenwartswahrnehmung für mögliche künstlerische Visionen – jenseits von überholten traditionellen Dichotomien: hier Natur, dort Kunst – durchlässiger zu machen.

In diesen spezifisch kreierten, organisch-artifiziellen ZwischenMilieus geht es vor allem um ein „Werden von Übergängen“; um ein „Natur-Tier-Mensch-Werden“ von Klang an sich, das umso mehr gelingt, wie die Natur bzw. das Tier oder der Mensch etwas „Anderes“ wird: reine Linie, reine Farbe, reiner Klang, reiner Rhythmus, reine Bewegung, reiner Zustand etc.

Wenn also Wasser/Luft (wie in „SonicRooms No.1“) nicht mehr nur wie Wasser/Luft klingt, sondern sich in, von jeglichen außermusikalisch- referentiellen Bedeutungen befreite, eigendynamisch vibrierende Klangplateaus mit ihren multilinearen Intensitätsströmen von Klangenergien verwandeln, so wird aus der inhaltlichen Klangmaterie eine klangliche Ausdrucksmaterie.

Grillenzirpen (wie in „SonicRooms No. 2“) mutiert langsam zu abstrakt hythmischen Klangfiguren, die durch artifizielle Klangbewegungen, mit ihren daraus resultierenden virtuellen Resonanzen, zu matrixartigen KlangFarbenRhythmusGittern verknüpft werden.

Die künstliche Klanglandschaft erscheint somit als Ensemble von Ausdrucksmaterien im geschichteten Klangsystem der horizontalen, rhythmisch-melodischen Klangfigur und dem vertikalen, resonanz- harmonischen Klangraum.