Die RaumklangInstallationen des Künstlerpaares von  <sabine schäfer // joachim krebs>

Nachwort in englisch: Ralf Nuhn and John Dack
Lansdown Centre for Electronic Arts, Middlesex University London

I. Verräumlichung der Zeit – Verzeitlichung des Raums

Die modernen Wahrnehmungslehren fußen alle mehr oder weniger auf der Tatsache, daß die Zeit- und Raumwahrnehmung des Menschen sich gegenseitig bedingen. Eine Distanz, die der Mensch – oder auch ein Klang – im Raum zurücklegt, wird vor allem als zeitliches Phänomen begriffen, anhand dessen der Mensch, durch Messen und Vergleichen, seine subjektive RaumZeitvorstellung entwickeln kann.

Bewegung im Raum wird somit Zeit. Zeitstrecken werden zu räumlichen Distanzen. Zeitempfinden realisiert sich durch Raumempfinden und umgekehrt. Raum wird durch das Erleben der im Raum real bewegten Klangereignisse zur Erfahrung von Zeit. Zeit wird dadurch zu einem offenen, imaginären Werdensprozeß von gedachtem Raum. Entgrenzte, vom linear gerichteten Zeitfluß befreite, offene Räume dienen als Repräsentationsflächen für sich ständig im Wandel befindliche Werdensprozesse von Übergängen.

Zwischen ZeitRäumen und RaumZeiten gibt es mannigfaltige Arten von Zwischenzonen mit ihren ZwischenRäumen und ZwischenZeiten.

Dies alles führt zur Auflösung des realen Aufführungsraums, in der die Zeit selbst eine linear-dramaturgisch, final gerichtete Vorstellung (von Raum?) inszeniert.

Anstelle dessen setzt ein zyklisch, nicht-lineares Zeitbewußtsein das Bedürfnis nach „Eintauchen“ in den psychischen Innenraum frei, um durch konzentrierte Wahrnehmung von vordergründig ereignislosen, auf elementar-harmonikal einfachen Klangmaterialien und -transformationen beruhenden Klangereignissen, den physikalischen Außenraum mitsamt seiner Effektivzeit und inhaltlich besetzten Gedankenräumen auszublenden, damit der Blick, oder besser das Hören, frei werden, um Gegenwart als Möglichkeit von Übergängen – von Augenblick zu Augenblick – frei fließender Zustände zu erfahren.

In den RaumklangInstallationen des Künstlerpaares <sabine schäfer//joachim krebs> werden spezifische Klangräume kreiert, die substantiell die Bewegung des Klangs im Raum kompositorisch einbeziehen. Einzelne Klangschichten der Komposition werden sozusagen in den äußeren Raum transferiert und über eine im Raum installierte Lautsprechermatrix – computergestützt und mit Hilfe einer exklusiv für das Künstlerpaar entwickelten Software – verschieden im Raum bewegt bzw. in den Raum gesetzt. Spezifisch für diese Raumklangkunst ist somit die freie Verteilung der Klangquellen im Raum und der um die reale Bewegung der Klänge erweiterte, kompositorische Klangraum. Dieser kompositorische Klangraum – primär als Zeitkunst definiert – avanciert somit auch zur Raumkunst. Vergleichbar dem Medium Film / Video, in dem das vormals statisch sich repräsentierende Bild durch seine Bewegung nun als Zeitkunst erlebbar wird.
Das Erleben der im architektonischen Raum bewegten Raumklang-Ereignisse intendiert nicht nur eine intensive räumliche Erfahrung, sondern wird auch zur Erfahrung von akustisch künstlerisch gestalteter Zeit.
Einzelne, im Raum verteilte Klangpunkte/Schallquellen werden durch Bewegung zu quasi organisch wuchernden Klanglinien, die – ihrerseits wieder zu einer artifiziellen RaumZeitMatrix verbunden – in der „NichtZeit“ freischwebende RaumZeitNetze akustisch imaginieren.

Raum und Zeit werden dabei selbst zu interagierenden Wahrnehmungsqualitäten, die permanent zwischen „realem“ und „irrealem“ RaumZeitEmpfinden fluktuieren.

II. Künstliche Klanglandschaften
zwischen purer Natürlichkeit und reiner Abstraktion

In fast allen Künstlerpaar-Werken ab 1995 bilden im Bereich der RaumklangInstallationen die amorphen Tier-/Naturlaute bzw. -klänge sowie heterogene Alltagsgeräusche aus dem menschlichen Umfeld und Lebensraum die wichtigsten Ausgangsklangmaterialien. (Jedoch keine Sprache, keinen Gesang sowie Instrumentalklänge oder synthetisch erzeugte Klangmaterialien!) Nachfolgend werden hier die wesentlichsten Aspekte der künstlerischen Arbeitsweise des Künstlerpaars dargestellt.

Ein erster, wichtiger Arbeitsschritt bei der Komposition bildet das intensive Studium der einzelnen (vor)gefundenen und (aus)gesuchten Geräusche und Klänge. Wichtigste Frage hierbei: Welche natürlich vorhandene und welche zukünftige artifizielle Konsistenz birgt jeder einzelne Klang im zunächst unhörbaren, molekularen Innenbereich der Mikrostruktur. Die Geräusche und Klänge werden deshalb, mit dem Instrumentarium des digitalen Samplers aufgezeichnet. Bis in den kleinsten Molekularbereich stellt der Sampler dem Klangkünstler einzelne Binnenstrukturpartikel dieser Geräusch-Klangmaterie zur künstlerischen Weiterarbeit zur Verfügung.
Mit diesen „abstrakten Maschinen“ – um einen Begriff der französischen Philosophen Deleuze/Guattari zu zitieren – wird quasi eine von uns sogenannte „EndoSonoSkopie“ der einzelnen Klangmaterialien vorgenommen, um dem organischen Klanggewebe einzelne Klangproben (sog. Samples oder Fragmentmuster) zu entnehmen. Die Sampler dienen dabei als Audio-Mikroskop mit einem Komplex von Schnittstellen, die in das organische KlangGefüge eindringen, um dessen Variationen aufzuzeichnen, zu molekularisieren und in einem weiteren Arbeitsgang diese dann künstlerisch zu transformieren.

Zuvor nicht wahrnehmbare Binnen-Polyphonien und harmonikale Klangfelder der sich eröffnenden inneren Resonanzräume werden nun hörbar. Es geschieht quasi ein Aufklappen und Veräußerlichen der inneren Intensitäten des jeweiligen Klangs.

War dies alles eine unter quasi wissenschaftlichem Aspekt des Beobachters und Forschers durchgeführte „vorbereitende“ Arbeit, wird es nun für den eigentlichen künstlerischen Kompositionsprozeß interessant. Denn nun gilt es durch unterschiedlichste artifizielle Transformationen, der sorgsam bereitgestellten Klangmaterialien, eine künstlich kreierte Konsistenzbildung zu erzeugen.

Die artifizielle Konsistenzbildung als symbiotisch-fluoreszierendes Tier-Natur-Geräusch-Werden von Klang an sich gelingt hier um so mehr wie das Tier bzw. die Natur oder das Geräusch etwas „Anderes“ wird: reine Linie, reine Farbe, reiner Klang, reiner Rhythmus, reine Bewegung, reine Figur….reiner Zustand.

Desweiteren werden in einem quasi akustischen Amalgamierungsprozeß sog. „artifizielle KlangMilieus“ geformt. D.h. eine temporär existente, spezifische Mischung von Klangsubstanzen und -Partikel bildet, in symbiotischer Mannigfaltigkeit – immer aus der Mitte heraus (mi/Mitte lieu/Ort) – durch eigendynamisch wuchernde Selbstintensivierungsschleifen (loops) dynamisch vorangetriebene KlangEnergieGefüge.

Ein weiterer wesentlicher Aspekt der Klang- und Geräuschmikroskopierung ist die Auflösung der semantischen Bedeutung des jeweiligen Klangs. War der Klang in seiner Originaltonhöhe als etwas „Bestimmtes“ identifizierbar, z.B. ein Frosch oder eine Kröte, entrückt er seinem ursprünglichen semantischen Charakter je stärker der Augmentationsfaktor ist. Man könnte auch sagen, daß die subjektive Inhaltsmaterie des Originalklangs sich in eine entsubjektivierte Ausdrucksmaterie des transformierten Fragmentmusters verwandelt. Es bilden sich Zwischenplateaus in changierender Konsistenzbildung, zwischen konkret und abstrakt, natürlich und künstlich usw.

Die künstliche Klanglandschaft erscheint somit als Ensemble von entsubjektivierten Ausdrucksmaterien im künstlerisch geschichteten Klangsystem der horizontalen, rhythmisch-melodischen Klangfigur und dem vertikalen, resonanz-harmonischen Klangraum.

III. Die fünf wichtigsten Raumklang-Installationsarten

Im Laufe der Jahre haben sich u.a. durch unterschiedlichste Aufführungssituationen verschiedene Raumklang-Installationsarten herauskristallisiert und entwickelt, von denen im nachfolgenden die fünf wichtigsten dargestellt werden:

  1. Das RaumklangObjekt
  2. Der umgehbare RaumklangKörper
  3. Der begehbare RaumklangKörper
  4. Raum-im-Raum
  5. Konzertanter RaumklangKörper
Afterword
by Ralf Nuhn and John Dack

There is, of course, no compulsion for artists ever to write about their practice. The histories of all the arts have bodies of artworks with little or no corroborating evidence from those who produced them. The theory is there, of course, but it is in the work and we must disentangle it if we choose to analyse the work. However, since the beginning of the last century and the institutionalisation of art there has been a marked increase in texts written by practising artists who want to (or feel obliged to) communicate the processes and underlying aesthetics of their work. These might be texts written to emphasise a personal role in an art-form’s historical development – how many claim to have „invented“ minimalism or conceptual art, for example? Other authors are deliberately polemical such as the young Boulez condemning as „useless“ all those who failed to recognise the necessity of serialism. Some, due to their role as teachers theorise their practice within a pedagogical framework. For the theoretician or critic all these writings provide valuable source material. Any form of self reflection will almost certainly be appropriated by the academic community as an invaluable research resource. It is an important way in which intellectual and aesthetic discourses are created and sustained.

The sound installation categories of <sabine schäfer // joachim krebs> described in the article have been developed in the context of their own unique and original practice. The absence of references to other artists indicates neither unfamiliarity with the world of installation art, nor excessive introspection. As artists who write about their work, their principal responsibility in this article is to provide a coherent account of their own practice. Our role as translators is to render the text accurately into English. However, due to our close contact with the text and its authors, a secondary contextualising role has emerged. Once a typology has been suggested it is available to everyone and can be used with or without modifications to see if additional works can be included within its categories. Some will be placed easily, others will resist inclusion. Both results can be informative.

For example, the circumambulatory Space-soundBody (category 2) is, broadly speaking, identical to sound sculptures in general. Both terms refer to a three-dimensional object which can be walked around and which emits sounds in different directions. One could, therefore, place sound sculptures such as Stephan von Huene’s Extended Schwitters (1987), Trimpin’s Liquid Percussion (1991) and Rolf Julius‘ Zwei Steine (1999) in this category.
However, a clear distinction must be made. <sabine schäfer // joachim krebs> emphasise that, due to the use of multi-channel recordings and individual loudspeakers, the limbs of their Space-soundBody can emit different sounds. This use of specific sounds from each limb would differentiate their works from those cited (with the possible exception of Trimpin’s Liquid Percussion). Nevertheless, this does not contradict the initial classification. The consideration of the specific role of sounds simply adds a further stage of refinement.
The first category – the Space-soundObject – can also be applied in this way. In this two-dimensional arrangement, sound is emitted in one direction. Similar examples are Takehisa Kosugi’s Interspersions (1987) and Christina Kubisch’s The True and the False (1992). In both these works small speakers are mounted on walls in plant-like configurations with the loudspeaker wires resembling stalks. The distinct character of each work depends, naturally, on the specific lighting, the position within the venue, the object’s dimensions and (most importantly) the sounds used by the artists. By including these works in the category of Space-soundObject these individual features are not disregarded. The defining aspect of the category is still the directionality of the speakers and the restriction placed on the viewer’s position. Additional examples can be suggested for the other categories.
As the enterable Space-soundBody (category 3) has loudspeakers placed on the walls of the space at various heights and positions, the visitor can move freely in order to experience different auditory perspectives. An obvious historical example would be the Philips Pavilion at the Brussel’s World Fair in 1958. Though in this case the movement of the sounds and the accompanying images were more important than the „sonification“ of the space as such. Other examples are Bernhard Leitner’s Ton-Raum (1984) and Ryoji Ikeda’s A (2000). In the latter case pure sinewaves and random noises were played within a narrow, purpose-built corridor. The acoustic properties of this, albeit simple, space created different listening experiences for the visitors. By walking at different speeds and by changing direction along the corridor, the visitor could locate and pass through distinct „sound areas“.
Examples of the fourth category – Space-within-Space – are less common. This type is based on a self-contained enterable Space-soundBody within the confines of a gallery or a similar space. Consequently, such a Space-soundBody is also circumambulatory. Once again, a potential example can be found in the works of Bernhard Leitner. His Cylindre Sonore (1987) is a cylindrical space containing 24 loudspeakers. The sounds emitted are modified by natural factors such as temperature, humidity and light. Our sole reservation regarding this work as Space-within-Space is that is it situated in the open air rather than within a venue with clear, architecturally defined acoustic characteristics. However, the visitor to Leitner’s space will experience both the sounds within the cylinder and the sounds from outside.
Finally, the five criteria of the final category – the concert Space-soundBody – conform to certain electroacoustic compositions where live instrumentalists play in conjunction with recorded sounds. Even though an exploration of the specific characteristics of the venue is not the principal objective, the practice of sound diffusion is necessarily influenced by the venue’s acoustics. No electroacoustic composer would minimise the importance of this relationship which will, therefore, have a decisive effect on the work as a whole. For example, Stockhausen’s Kontakte für elektronische Klänge, Klavier und Schlagzeug (1959-60) has a fixed form and audience-instrumentalist relationship. In addition, the use of four channel tape and the positioning of the loudspeakers and musicians will ensure the intimate connection between the electronic sounds, the live sounds and the concert space.

From these examples it is clear that the typology suggested by <sabine schäfer // joachim krebs> suits some works but needs modification for others. It must be stressed that this particular typology was the end result of the work and practice of <sabine schäfer // joachim krebs>. This is its unique quality and its strength. Had it been developed by a theoretician, musicologist or art historian the problematic nature of several of the aforementioned examples might well have been addressed by creating sub-categories. However, in our initial attempts the additional refinements usually resulted from considering the types of sounds and how they were used by the artist. This specificity was clarified by an initial categorisation. It is our opinion, therefore, that the origins of these five categories in the works of <sabine schäfer // joachim krebs> does not preclude their general applicability. The art of the sound installation is still relatively new and this typology is an important addition to its theoretical framework.